Diagnostik von ADHS
Diagnostik
Die hohe therapeutische Bedeutung einer validen Diagnosestellung schafft verständlicherweise im klinischen Alltag das berechtigte Bedürfnis, die Diagnostik der ADHS zu »objektivieren«. Leider existiert aber – ähnlich wie für die meisten anderen psychischen Störungen – kein Testverfahren für den objektiven Beweis einer ADHS. Es handelt sich vielmehr um eine klinische Diagnose, die anhand der typischen Lebensgeschichte mit Beginn in der frühen Kindheit anhand von Eigen- und Fremdanamnese sowie einer Verhaltensbeobachtung im klinischen Alltag gestellt wird.
Bei jedem Patienten findet deshalb eine eingehende psychiatrische und psychologische Aufnahmeuntersuchung statt. Hier wird eine biographische Anamnese mit sozialer Entwicklung erhoben, sowie nach Stärken (Ressourcen) und besonderen Belastungsfaktoren gefragt. Selbstverständlich müssen fremdanamnestische Informationen (z.B. Eltern, Partner) und Vorberichte mit in diese Befragung einbezogen werden, wobei wir ausdrücklich Lebenspartner zu diagnostischen und therapeutischen Gesprächen in den Behandlungsprozess integrieren.
Anhand einer Screening-Diagnostik mit Fragebögen versuchen wir zunächst einen ersten Überblick über die Behandlungsrelevanz zu ermitteln und erheben dann anhand von Symptomlisten zur Selbst- und Fremdbeurteilung zusätzliche Informationen.
Im Einzelnen wird erfragt,
- welche aktuelle Symptomatik Anlass für die Behandlung ist und in welchen verschiedenen Lebensbereichen Probleme bestehen
- welche Stärken und Ressourcen bestehen und bisher geholfen, die für die Behandlung möglicherweise genutzt und ausgebaut werden könnten
- ob Auffälligkeiten in der Schwangerschaft oder frühkindlichen Entwicklung (Entwicklungsverzögerungen wie Stottern, Bettnässen, motorische Störungen z.B. beim Laufen lernen oder Wahrnehmungsstörungen) bestehen oder bereits früher zu Diagnostik- oder Behandlungsempfehlungen geführt haben
- ob körperliche Beschwerden, insbesondere Hinweise auf eine autonome Regulationsstörung des vegetativen Nervensystems in den Bereichen Essen und Trinken, Schlaf, Temperatur und Schmerzempfinden, Berührung bzw. Nähe- und Distanzregulation vorliegen
- wie die Entwicklung der Problematik über die Jahre verlaufen ist. Hierbei interessiert uns, ob fortlaufend in verschiedenen Lebensbereichen relevante Auffälligkeiten bestanden haben und welche Ausgleichsmöglichkeiten möglicherweise unbewusst als Reaktion auf die Grundproblematik eine Rolle gespielt haben (z.B. rigide Leistungserfüllung in der Schule, Perfektionismus, frühzeitiger Abbruch von Ausbildungen, häufiger Arbeitsplatzwechsel, Überspielen der eigenen Notlage)
- ob weitere seelische Erkrankungen, insbesondere bei Geschwistern oder Familienangehörigen auch im Sinne eines hyperkinetischen Syndroms, Impulskontrollstörungen oder Suchtprobleme, chronische Depressionen etc. vorhanden sind
- wie die Berufsanamnese aussieht, da sich bei ADHS-Patienten oft erhebliche Probleme in der Ausbildung ergeben, was aber ein Studium nicht ausschließt. Vielfach fallen jedoch wiederholte Arbeitsplatzwechsel oder erhebliche interaktionelle Probleme mit Vorgesetzten und Kollegen auf. Kennzeichnend für die Schilderung des Berufsweges vieler ADHSPatienten ist, dass sie ihr volles Leistungspotential nicht nutzen konnten. Gerade Aufgaben, die mehr Mitarbeiterverantwortung und Organisation beinhalten, führen häufig zu Problemen, nicht selten auch zur Kündigung.
- nach zusätzlichen psychischen Problemen und Erkrankungen, die häufig erst auf Nachfrage berichtet werden. Hierzu gehören neben depressiven Symptomen und Ängsten, soziale Schwierigkeiten, Störungen der Impulskontrolle, Zwänge, Aggressivität und insbesondere Probleme im Umgang mit wichtigen Bezugspersonen (Interaktionsproblematik). Häufig finden sich Patienten mit zusätzlicher Persönlichkeitsstörung (z.B. emotional-instabile Persönlichkeit). Aber auch der Verlauf anderer psychiatrischer Erkrankungen (z.B. manisch-depressive Erkrankungen, Psychosen) kann durch das Vorliegen einer ADHS-Veranlagung negativ beeinflusst sein.
- nach einer Medikamenten- und Drogenanamnese, die einerseits Hinweise auf häufig vorkommende ungewöhnliche (»paradoxe«) Medikamentenwirkungen ergibt. Andererseits setzen jugendliche ADHS-Patienten oft Drogen als ungeeignete Selbstmedikation zur Stimulation und / oder Beruhigung des Gehirns ein.
Typische Beschwerdeschilderungen von ADHS-Patienten sind u.a.:
- als Leitsymptom im Erwachsenenalter imponiert häufig ein Gefühl von Leistungsschwäche und Unfähigkeit gesetzte Ziele auch erreichen zu können
- stark schwankender Antrieb und Ausdauerfähigkeit, rasches Nachlassen der Anstrengungsbereitschaft
- neuropsychologische Auffälligkeiten im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung, im Zeitgefühl, in der Handlungsplanung und im Arbeitsgedächtnis (Exekutivfunktionen)
- Reizbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, innere Ambivalenz und Probleme im Umgang mit Spannungen und Konflikten
- Schwarz-Weiß-Denken (dichotome Denkmuster)
- erhebliche Probleme bei Alltagsaufgaben und Routineabläufen
- Intoleranz von Langeweile, häufig auch als »Müdigkeit« oder scheinbare gedankliche Abwesenheit oder Minderbegabung gedeutet
- Gedankenrasen / »Chaos im Kopf«
- unklare vegetative Beschwerden, z.B. morgendliche Antriebsminderung, Kopfschmerzen, funktionelle Beschwerden
- Reizüberflutung und leichte Erschöpfbarkeit bei Licht, Lärm, Stress
- Müdigkeit / Apathie und sehr geringes Grunderregungsniveau bei häufiger Komorbidität mit weiteren Schlafstörungen
Diagnosekriterien der ADHS im Erwachsenenalter
Nach den deutschen Leitlinienempfehlungen wird entweder eine Diagnoseerstellung nach ICD 10, nach DSM-IV Kriterien oder über die Wender-Utah Kriterien empfohlen. Lediglich über DSM-IV lässt sich auch der unaufmerksame Subtypus diagnostizieren.
Zu den geforderten Kriterien gehören
- Entweder sechs oder mehr Symptome der Aufmerksamkeitsstörung (für über sechs Monate fortbestehend, störend und nicht dem Entwicklungsstand entsprechend) oder sechs oder mehr Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität (für mindestens sechs Monate fortbestehend, störend und nicht dem Entwicklungsstand entsprechend)
- Einzelne Symptome bereits vor dem 7. Lebensjahr vorhanden
- Beeinträchtigung durch Symptome der ADHS in mindestens zwei Lebensbereichen
- Klare Hinweise auf Beeinträchtigung im sozialen Bereich, in der Schule oder im Rahmen der beruflichen Tätigkeit
- Keine Erklärung durch andere psychische Störungen
Bei Vorliegen der Kriterien der Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität / Impulsivität spricht man von einem kombinierten oder gemischten Typus der ADHS. Bei Vorliegen von sechs von neun Symptomen der Aufmerksamkeitsstörung, jedoch fehlenden Symptomen der Hyperaktivität oder Impulsivität wird ein primär unaufmerksamer Typ diagnostiziert. Seltener wird bei alleinigem Vorherrschen von Symptomen der Hyperaktivität und Impulsivität von einem primär hyperaktiv-impulsiven Typus gesprochen.
Testpsychologische Untersuchungsverfahren
Vielfach haben Patienten selbst bereits über Symptomlisten aus Büchern oder dem Internet selbst eine Verdachtsdiagnose auf ein ADHS-Syndrom gestellt. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass diese Fragebögen zwar relativ spezifisch typische Merkmale der ADHS abbilden können, jedoch weder beweisend noch ausschließend sind. Besonders problematisch ist dabei, dass aufgrund der in den diagnostischen Kriterien geforderten lebenslangen Beeinträchtigung gerade aus der eigenen Kindheit und Jugend Informationen benötigt werden, jedoch nur selten wirklich gute Erinnerungen an diese Zeit bestehen. Hier können Screeninginstrumente, wie der ASRS-Fragebogen (ADHS-Selbsteinschätzungsbogen für Erwachsene der WHO) eine erste Orientierung bieten, müssen aber unbedingt durch weitere Fremdbeurteilungsskalen, Fremdanamnesen oder aber Zeugnisse/ Gutachten aus der Kindheit gestützt werden.
Syndromtypisch ist die Selbstbeurteilung von ADHS-Patienten nicht besonders gut. Entweder werden aufgrund der lebenslangen Symptomatik die bestehenden Auffälligkeiten als normal angesehen oder aber durch defizitäre Selbstbeurteilungskompetenzen geprägt; oft fehlen aufgrund der Desorganisation und häufiger Wohnortwechsel zudem valide Unterlagen zur eigenen Kindheit und Ausbildung. Hier kann die international häufig eingesetzte Wender-Utah-Rating-Scale ein nur ansatzweise ausreichendes Hilfsmittel zur Erhebung einer entsprechenden retrospektiven Erhebung von Symptomen in der Kindheit sein.
Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen für das Erwachsenenalter (z.B. Brown- ADD-Skala, Symptomliste für ADHS bei Frauen oder der CAARS-Fragebogen für ADHS bei Erwachsenen) helfen jedoch vielfach den Betroffenen syndromtypische Merkmale genauer zu hinterfragen oder im Zusammenhang mit der neurobiologischen Grundproblematik zu sehen.
Verhaltensbeobachtung / Fremdbeurteilung
Allgemein gilt, dass ADHS weniger als isolierte Fehlfunktion oder Defizit objektiviert werden kann, sondern als ein Störungskontinuum einer dynamischen Anpassungsproblematik für scheinbar einfache Alltagsaufgaben und Routineanforderungen. Nicht eine einzelne messbare Funktion ist also primär gestört, sondern vielmehr deren Regulation und Handlungsausführung im Alltag und deren soziale Integration. Die hohe therapeutische Bedeutung einer validen Diagnosestellung schafft verständlicherweise im klinischen Alltag das berechtigte Bedürfnis, die Diagnostik der ADHS zu »objektivieren«. Leider existiert aber – ähnlich wie für die meisten anderen psychischen Störungen – kein Testverfahren für den objektiven Beweis einer ADHS. Es handelt sich vielmehr um eine klinische Diagnose, die anhand der typischen Lebensgeschichte mit Beginn in der frühen Kindheit anhand von Eigen- und Fremdanamnese sowie einer Verhaltensbeobachtung im klinischen Alltag gestellt wird.
Bei jedem Patienten findet deshalb eine eingehende psychiatrische und psychologische Aufnahmeuntersuchung statt. Hier wird eine biographische Anamnese mit sozialer Entwicklung erhoben, sowie nach Stärken (Ressourcen) und besonderen Belastungsfaktoren gefragt. Selbstverständlich müssen fremdanamnestische Informationen (z.B. Eltern, Partner) und Vorberichte mit in diese Befragung einbezogen werden, wobei wir ausdrücklich Lebenspartner zu diagnostischen und therapeutischen Gesprächen in den Behandlungsprozess integrieren.
Anhand einer Screening-Diagnostik mit Fragebögen versuchen wir zunächst einen ersten Überblick über die Behandlungsrelevanz zu ermitteln und erheben dann anhand von Symptomlisten zur Selbst- und Fremdbeurteilung zusätzliche Informationen.
Im Einzelnen wird gefragt,
- welche aktuelle Symptomatik Anlass für die Behandlung ist und in welchen verschiedenen Lebensbereichen Probleme bestehen
- welche Stärken und Ressourcen bestehen und bisher geholfen, die für die Behandlung möglicherweise genutzt und ausgebaut werden könnten
- ob Auffälligkeiten in der Schwangerschaft oder frühkindlichen Entwicklung (Entwicklungsverzögerungen wie Stottern, Bettnässen, motorische Störungen z.B. beim Laufen lernen oder Wahrnehmungsstörungen) bestehen oder bereits früher zu Diagnostik- oder Behandlungsempfehlungen geführt haben
- ob körperliche Beschwerden, insbesondere Hinweise auf eine autonome Regulationsstörung des vegetativen Nervensystems in den Bereichen Essen und Trinken, Schlaf, Temperatur und Schmerzempfinden, Berührung bzw. Nähe- und Distanzregulation vorliegen
- wie die Entwicklung der Problematik über die Jahre verlaufen ist. Hierbei interessiert uns, ob fortlaufend in verschiedenen Lebensbereichen relevante Auffälligkeiten bestanden haben und welche Ausgleichsmöglichkeiten möglicherweise unbewusst als Reaktion auf die Grundproblematik eine Rolle gespielt haben (z.B. rigide Leistungserfüllung in der Schule, Perfektionismus, frühzeitiger Abbruch von Ausbildungen, häufiger Arbeitsplatzwechsel, Überspielen der eigenen Notlage
- ob weitere seelische Erkrankungen, insbesondere bei Geschwistern oder Familienangehörigen auch im Sinne eines hyperkinetischen Syndroms, Impulskontrollstörungen oder Suchtprobleme, chronische Depressionen etc. vorhanden sind
- wie die Berufsanamnese aussieht, da sich bei ADHS-Patienten oft erhebliche Probleme in der Ausbildung ergeben, was aber ein Studium nicht ausschließt. Vielfach fallen jedoch wiederholte Arbeitsplatzwechsel oder erhebliche interaktionelle Probleme mit Vorgesetzten und Kollegen auf. Kennzeichnend für die Schilderung des Berufsweges vieler ADHSPatienten ist, dass sie ihr volles Leistungspotential nicht nutzen konnten. Gerade Aufgaben, die mehr Mitarbeiterverantwortung und Organisation beinhalten, führen häufig zu Problemen, nicht selten auch zur Kündigung.
- nach zusätzlichen psychischen Problemen und Erkrankungen, die häufig erst auf Nachfrage berichtet werden. Hierzu gehören neben depressiven Symptomen und Ängsten, soziale Schwierigkeiten, Störungen der Impulskontrolle, Zwänge, Aggressivität und insbesondere Probleme im Umgang mit wichtigen Bezugspersonen (Interaktionsproblematik). Häufig finden sich Patienten mit zusätzlicher Persönlichkeitsstörung (z.B. emotional-instabile Persönlichkeit). Aber auch der Verlauf anderer psychiatrischer Erkrankungen (z.B. manisch-depressive Erkrankungen, Psychosen) kann durch das Vorliegen einer ADHS-Veranlagung negativ beeinflusst sein.
- nach einer Medikamenten- und Drogenanamnese, die einerseits Hinweise auf häufig vorkommende ungewöhnliche (»paradoxe«) Medikamentenwirkungen ergibt. Andererseits setzen jugendliche ADHS-Patienten oft Drogen als ungeeignete Selbstmedikation zur Stimulation und / oder Beruhigung des Gehirns ein.
Typische Beschwerdeschilderungen von ADHS-Patienten sind u.a.:
- als Leitsymptom im Erwachsenenalter imponiert häufig ein Gefühl von Leistungsschwäche und Unfähigkeit gesetzte Ziele auch erreichen zu können
- stark schwankender Antrieb und Ausdauerfähigkeit, rasches Nachlassen der Anstrengungsbereitschaft
- neuropsychologische Auffälligkeiten im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung, im Zeitgefühl, in der Handlungsplanung und im Arbeitsgedächtnis (Exekutivfunktionen)
- Reizbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, innere Ambivalenz und Probleme im Umgang mit Spannungen und Konflikten
- Schwarz-Weiß-Denken (dichotome Denkmuster)
- erhebliche Probleme bei Alltagsaufgaben und Routineabläufen
- Intoleranz von Langeweile, häufig auch als »Müdigkeit« oder scheinbare gedankliche Abwesenheit oder Minderbegabung gedeutet
- Gedankenrasen / »Chaos im Kopf«
- unklare vegetative Beschwerden, z.B. morgendliche Antriebsminderung, Kopfschmerzen, funktionelle Beschwerden
- Reizüberflutung und leichte Erschöpfbarkeit bei Licht, Lärm, Stress
- Müdigkeit / Apathie und sehr geringes Grunderregungsniveau bei häufiger Komorbidität mit weiteren Schlafstörungen